Fastenhirtenbrief
an die Gemeinden der Diözese Rottenburg-Stuttgart
zur österlichen Bußzeit 2025
Liebe Schwestern und Brüder,
zu Beginn der österlichen Bußzeit möchte ich mich mit einem ersten Hirtenbrief an Sie alle wenden. Hundert Tage sind inzwischen seit meiner Bischofsweihe am 1. Dezember vergangen. Gerne nutze ich deshalb diese Gelegenheit, um für die vielen guten Wünsche, die ich aus allen Teilen unserer Diözese erhalten habe, ganz herzlich zu danken. Besonders danke ich Ihnen für Ihr Gebet. In den zurückliegenden Wochen habe ich unsere Diözese vor allem als Gebetsgemein-schaft erfahren. Diese Erfahrung hat mich gestärkt und macht mir Mut, mit Ihnen neue Schritte in die Zukunft unserer Diözese zu gehen.
Am Anfang der österlichen Bußzeit steht der mahnende Ruf Jesu: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Dieser Ruf richtet sich an jeden von uns. Wir sind eingeladen, in diesen vierzig Tagen nochmals intensiver auf unser Leben zu schauen, unseren Weg neu auszurichten auf Jesus Christus. Er ist der Leitstern, an dem wir uns orientieren. Die Frohe Botschaft, die er ver-kündigt hat, ist eine Botschaft der Hoffnung die Zusage der barmherzigen Liebe Gottes, die jeden Menschen erreichen will. Die Menschen,die Jesus begegneten, spürten: In seinen Worten spricht uns Gott selbst an. Das Wort Gottes ist die Quelle, aus der wir immer wieder neu Kraft schöpfen können für unser Leben. Denn „der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“(Mt 4,4).
Was für jeden einzelnen Christen, jede einzelne Christin gilt, das gilt auch für die Gemeinschaft der Glaubenden insgesamt: Auch die Kirche muss sich immer wieder neu am Evangelium orientieren, sie muss sich ganz bewusst unter das Wort Gottes stellen, um den Weg zu erkennen, den wir gemeinsam als Glaubende gehen sollen:Wie können wir glaubwürdige Zeuginnen und Zeugen für das Evangelium sein, für die frohe Botschaft, die auch durch uns, die Herzen der Menschen erreichen will? Und das in einer Zeit,in der sich immer mehr Menschen von Glaube und Kirche abzuwenden scheinen. Wie kann es gelingen, dass auch sie die Erfahrung machen können, von Gott im Innersten ihrer Existenz angenommen und geliebt zu sein?
Eine Kirche, die sich am Evangelium orientiert,wird wie Jesus vor allem die Menschen im Blick haben, die am Rand unserer Gesellschaft leben,die von den anderen nicht beachtet werden, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Solchen Menschen begegnen wir mitten in unserem Alltag in unserem unmittelbaren Lebensumfeld, auf den Straßen und Plätzen unserer Städte und Dörfer. Als weltweit vernetzte Glaubensgemeinschaft kann uns aber auch das Schicksal der Menschen nicht unberührt lassen, die in anderen Regionen unserer einen Welt oft unter schwierigsten Bedingungen leben müssen. Das Evangelium wird als frohe Botschaft dort konkret, wo wir uns für die Würde eines jeden Menschen stark machen,wo wir uns dafür einsetzen, dass alle Menschen unter gerechten und menschenwürdigen Bedingungen leben können und wenn wir uns immer wieder von neuem darin einüben, jedem Menschen mit Respekt zu begegnen.
Als Kirche, die sich am Vorbild Jesu orientiert, gilt es auch heute Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebenskontexten zusammenzuführen. Darum sollten wir in dem Bemühen nicht nachlassen, eine einladende und gastfreundliche Kirche zu sein. Gerade in unseren Tagen ist es besonders wichtig, Polarisierungen und Spaltungen zu überwinden, die Gräben nicht zu vertiefen, sondern Brücken zu bauen, Räume des Dialogs und des geteilten Lebens anzubieten, damit sich Menschen begegnen und zueinander finden können. Gerade damit können wir als Glaubensgemeinschaft einen wichtigen Beitrag für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft leisten. Das bedeutet auch,dass wir dort klar Position beziehen, wo die Werte diskutiert werden, für die wir als Christen stehen und die unsere Gesellschaft tragen. Als Christen können wir nicht schweigen, wenn die unveräußerliche Würde und die grundlegenden Rechte eines jeden Menschen verletzt oder in Frage gestellt werden.
Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Kirche dort, wo sie sich am Vorbild Jesu orientiert und aus seiner frohen Botschaft Antworten auf die Fragen unserer Zeit sucht, wieder neu an Strahl kraft gewinnen wird. Wichtig wird es sein, dass wir alles daran setzen, eine lebendige Kirche zu bleiben und dort, wo wir es nicht sind, mehr und mehr dazu zu werden. Gelingen kann das nur, wenn wir bereit sind, auch manche Dinge zu verändern und neu zu denken. Der Blick auf die aktuellen Entwicklungen ergibt ein eher nüchternes Bild: Die Zahl der Kirchenmitglieder geht zurück. Ebenso die Zahl der Priester und der Mitarbeitenden im pastoralen Dienst. Wir müssen uns auch darauf einrichten, dass wir in Zukunft nicht mehr über die finanziellen Mittel verfügen werden, wie wir das bis jetzt gewohnt waren. Von daher müssen wir sehr genau überlegen, wie wir das, was uns zur Verfügung steht, so nutzen, dass das kirchliche Leben in unserer Diözese nicht nur erhalten bleibt, sondern sich auch weiterentwickeln kann und neue Impulse gesetzt werden können.
Wir werden darüber nachdenken müssen, welche Schwerpunkte wir künftig setzen werden: Was ist uns besonders wichtig und wo müssen wir auf manche Dinge verzichten, um Neues möglich zu machen. Wir werden darüber diskutieren, wie wir das Miteinander der Gemeinden weiterentwickeln können und welche pastoralen Strukturen sich daraus ergeben. Schließlich gilt es den Bestand unserer kirchlichen Gebäude so zu planen und die Verwaltungsaufgaben so zu organisieren, dass die Seelsorge und das Leben unserer Gemeinden möglichst gut unterstützt werden kann und die Kirche nahe am Leben der Menschen bleibt.
Diesen wichtigen Fragen für die Zukunft unserer Diözese möchte ich mich als Bischof stellen -gemeinsam mit allen, die Verantwortung tragen für das kirchliche Leben in unserer Diözese. Als Christen sind wir gemeinsam unterwegs wir sind eine synodale Kirche. Deshalb ist es mir wichtig, dass diese Fragen auf allen Ebenen unserer Diözese gründlich beraten werden: im Diözesanrat, in den Dekanatsräten und in den Kirchengemeinderäten. Es geht darum, dass alle Gesichtspunkte in den Blick kommen. Und es geht darum, dass wir gemeinsam auf das Wort Gottes hören – dass wir gemeinsam der Frage nachspüren, welchen Weg uns der Geist Gottes als Kirche Jesu Christi in der Diözese Rottenburg-Stuttgart führen will.
Ich lade Sie herzlich ein, diesen Weg mitzugehen, ihre Ideen einzubringen und diesen wichtigen Prozess im Gebet zu begleiten. Ich vertraue fest darauf: Wenn wir uns gemeinsam unter das Wort Gottes stellen, werden wir die richtige Richtung erkennen und gemeinsam einen guten Weg in die Zukunft gehen können – als Pilger der Hoffnung!
Unter dieses Leitwort hat Papst Franziskus das Heilige Jahr 2025 gestellt. Die Hoffnung bewahrt uns vor Resignation und lähmender Angst. Sie stellt unser Leben in einen weiten Horizont. Sie richtet unseren Blick auf die Zukunft, die Gott selber ist. Sie bewahrt uns vor der Versuchung, zu kurz zu denken, uns an falschen Werten zu orientieren oder die Hände tatenlos in den Schoß zu legen.
Als Pilger der Hoffnung sind wir eingeladen, uns am Wort Gottes zu orientieren und aus seiner Kraft den gemeinsamen Weg mit Zuversicht zu gehen – ganz besonders in diesen Tagen der österlichen Bußzeit.
Ich wünsche Ihnen allen eine gesegnete Zeit der Vorbereitung auf das Osterfest und grüße Sie in herzlicher Verbundenheit Ihr
Bischof Dr. Klaus Krämer
Rottenburg am Neckar, am 22. Februar im Heiligen Jahr 2025